Learning from Basel! Exkursion 2025

In manchen Dingen sind die Rahmenbedingungen einfach anders, doch in wesentlichen Aspekten auch wieder gleich. Die Schweiz ist ähnlich wie Deutschland ein Mieterland. Auch hier zeigt sich, dass der Markt und insbesondere die Bodenpreissteigerungen für Viele keine bezahlbaren Mieten mehr gewährleisten kann. Was anders ist, ist die Fähigkeit anderen Akteuren, die so gar nicht zum deutschen Bild von Nummernköntli-Land zu passen scheinen, regelmäßig spannende, große, bürgergemachte soziale und ökologische Wohnen-und-Mehr-Projekte hervorbringen.

Birgit Jendro, Netzwerk gemeinschaftliches Bauen und Wohnen beim Kochevent in Basel

Birgit Jendro, Netzwerk: Basel hat mir Mut gemacht, langfristig doch den Schritt der Genossenschaft zu wagen. Basel baut gemeinsam – solidarisch, vielfältig, zukunftsweisend mutig und mutmachend für Köln.

Andreas Kooy, moderne Stadt: Ich hatte mit der Reise nach Basel nun bereits das zweite Mal das Vergnügen, genossenschaftliche Projekte in der Schweiz besuchen zu können. Ohne eines davon besonders hervorheben zu wollen, beeindruckte mich insgesamt mit wieviel Mut, Haltung, Pragmatismus und innerer Überzeugung in der Schweiz Projekte entwickelt werden. Die gilt für alle Projektbeteiligte.
Das sollte uns für unsere hiesigen Entwicklungen ein gutes Beispiel sein.  

 

In dem “Topf” finden sich verschiedene Zutaten

Eine Innovationskultur: Auch neuen Akteuren traut man was zu. Ein paar zwar fachlich versierte Personen, aber ohne Firma starten das Projekt Westfeld mit 525 Wohnungen, mitten in der Stadt, plus 10.000m² Gewerberäume. Grundlage: eine Bewerbung auf einem DIN A4 Blatt. So auch beim deutlich kleineren Projekt StadtErle, das letztlich von zwei fachfremden Ehepaaren gestemmt wurde.Ein schöpferischeres Verhältnis zum Geld. Der Lebensweg und die Haltung der Roche-Milliardenerbin und Stiftung Habitat-Mitgründerin Beatrice Oeri (https://www.bazonline.ch/die-scheue-milliardaerin-505458363131) lässt sich nicht kopieren, doch sind die philantropische Haltung und die Einsicht, dass es Grundgüter wie das Wohnen gibt, die vor dem Markt zu schützen sind, mögen sich auch andere zum Vorbild nehmen. Aber auch ältere Genossenschaften, die über viel Geld verfügen, aber keine eigenen Innovationsvorhaben haben, greifen jungen eG unter die Arme oder kooperieren mit diesen. Generell, wenn ein Projekt mit ambitionierten sozial-ökologischen Ideen daherkommt, kann es sich darauf verlassen „dass das Geld auf der Straße liegt….“. Solche Geschichten hört man bei uns eher selten. Das Stiftungen, Kommunen, Kantone Projektentwicklungsdarlehen oder -Bürgschaften geben, um die Vorlaufkosten abzusichern, ist ein erheblicher Erfolgsfaktor. Ansätze dazu gab und gibt es auch in Deutschland, für Köln wäre es ein starker Hebel.

Lust auf tiefschürfende Projekte, quasi schon als Standard: Solidarfonds innerhalb der Projekte, hohe ökologische Standards, ein Minimalismus, der als solcher gar nicht empfunden zu werden scheint, ein leben und leben lassen, das nicht mit Gleichgültigkeit zu verwechseln ist und noch weniger mit Ignoranz, prägen die Projekte. Der Anspruch die Mischung der Stadt zu spiegeln, begegnet uns immer wieder und wird oft eingelöst. Wohnen und arbeiten, 15-Minuten-Stadt, Offenheit für Veränderungen und Umzugspflicht, wenn die Wohnung zu groß wird, etc. Programmatik und Pragmatik in friedlicher Koexistenz: man fragt sich, ob sich die Realität mit all diesen glaubhaft dargestellten Qualitäten deckt?
Wer noch mehr will, ist nicht mein Feind, sondern ein Kooperationspartner: Sozusagen die Zuspitzung des bereits Geschriebenen: Eine selbst junge Genossenschaft, gibt einen Generalmietvertrag für 20% seiner Wohnungen an das noch ambitionierteres Projekt LeNa, das mit noch mehr Solidarität (z.B.: einer freiwilligen Einkommens- und Vermögensabgabe), noch weniger Wohnfläche, noch mehr Gemeinschaftsräumen, noch mehr Ganzheitlichkeit in der Ökologie aufwartet.
Ein bisschen an Deutschland erinnert indes, dass die Baustandards immer schärfer und enger gefasst werden, so dass z.B. der Einsatz von Recylingmaterial oder die Nutzung überbreiter Laubengänge, die sich als Begegnungsorte so bewährt haben, immer schwieriger wird.

Westfeld – wohnen & mehr

Ein riesiges Projekt – 525 Wohnungen und mehr, gestemmt von einer Neugründung! Politisches Zutrauen, auf Basis von einer A4 Bewerbung. Eigenkapitalunterstützung durch Altgenossenschaften, die selbst nicht zum Bauen kommen. Ein mustergültiger Stadtbaustein nach dem Ideal der 15min-Stadt, hier als 5min-Stadt. Erdgeschossnutzungen die alle wollen, die aber durch die Wohnetagen querfinanziert werden müssen. Während in der Schweiz mind. 1 PKW-Stellplatz pro WE gilt, gilt in Basel max. 1! Hier hat man mit 0,5 geplant und kommt mit noch weniger aus. Welchen Beitrag dazu Bus und Bahn leisten, kann man daran ermessen, dass Bern und Zürich – beide je 100km entfernt – zum Pendlerbereich gehören, vom Innenstadtangebot ganz zu schweigen.

Westfeld: Führung Claudio Paulin, Baugenossenschaft wohnen & mehr Fotos: Almut Skriver

LeNa – konstruktiv gesellschaftskritisch

In Deutschland würde man es als Postwachstumsprojekt beschreiben. Gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen ist das Leitbild. Die Neustart Schweiz Initiative, die aus derzeit 10 Projekten, davon einem werdenden in Tübingen besteht, orientiert sich an den Ideen von Hans Widmer, der 1983 seine antikapitalistische und anarchische Idee bolo:bolo anonym veröffentlichte. Bei diesen Stichworten kräuseln sich gerne relfexhaft die Nackenhaare, doch spätestens nach dem Erscheinen der Grenzen des Wachstums und der Studie Global2000, war es nur noch dogmatisch möglich die beschriebenen Herausforderungen zu negieren. Neustart will eben dies, mit vernetzten Projekten aus idealerweise 500 Menschen eine menschenfreundliche und nachhaltige Gesellschaftsstruktur mit hoher Lebensqualität schöpfen. Und das wird dann eben ausprobiert, es ist ja nicht so, als dass die vermeintliche Normalität nicht auch nur ein Experiment wäre.

LeNa: Führung Urs Geissbühler, Bewohner

Dr. Sabine Weck, ILS: Mich hat am meisten beeindruckt, dass es bei den Wohnungsgenossenschaften Modelle der Solidarfinanzierung gab, die niedrigverdienenden Haushalten Zugang ermöglichten, und dass es klare Regeln zur Belegung der Wohnungen (mindestens zwei Menschen bei einer Dreizimmerwohnung) und deren Umsetzung gab.

Lysbüchel Süd – wer sich Kleinteiligkeit zutraut, erntet vielfältige Stadt

Hier, wie in Erlenmatt Ost ist das philanthropische Kapital der Stiftung Habitat der ermöglichende Faktor. Obwohl die Stifter das Sicherstellen bezahlbaren Wohnraums als staatliche Verantwortung begreifen, sind sie bereit mit ihrem Geld die Lücke zu füllen, seit 1996! Am Stadtrand werden 12.400m² inkl. eines alten Coop-Weinlagers gekauft und in 15 Projekt geteilt. 3 große macht man selbst, als Ausgleich für die soziale Mischung, die die 12 kleineren nicht stemmen können. Das Erbbaurecht macht Vorgaben für alle, z. B. die Unterbelegungsklausel. Kleinteilige Vergabe, Kooperationskultur und Mut zur Lücke, die belohnt wird, prägen die Entwicklung. Es entstehen besonders ökologische Bausteine, besonders flexible, solche, in denen auch Musiker:innen üben können, solche für Alte und für Ärmere, europäische Stadt eben. Ein Projekt das alle wollen müssen, kann nicht schiefgehen.

Lysbüchel: Führung Raphael Schicker Stiftung Habitat

Erlenmatt Ost – Das Idyll, wo niemand hin wollte

Die DB trennt sich von seinem Betriebsgelände am Badischen Bahnhof. Eingezwängt zwischen lauten Verkehren aller Art, aber nicht wirklich weit weg von der Stadt erkennt auch hier die Stiftung Habitat die Chance. Es braucht sicher philanthropischen Esprit, um es zu starten, doch wird versichert, dass die Projekte nicht am Vermögen der Stiftung nagen, also auskömmlich sind, nur eben nach anderen Maßstäben als bei kommerziellen Entwicklern. Den schwierigen Riegel baut man auch hier selbst. Der Fußweg vom Badischen Bahnhof bis zum Entrée lässt visuell wie akustisch Zweifel aufkommen, dass man hier richtig sein könnte. Aufgeräumt aber hässlich und laut, wirklich laut. Dann schauen einen die großen runden Fenster des Silo Hostels an und die Neugier ist geweckt.

Cooperative d‘Ateliers

Atelier-Bewohnerin Regula Rappo-Raz
Architekt Heinrich Degelo zum Haus ohne Heizung

Prof. Sabine Tastel, TH Köln: Besonders spannend fand ich die Künstlerateliers in Erlenmatt Ost, die mit ihren flexiblen Grundrissen Wohnen und Arbeiten auf schöne Weise verbinden.

Einen Durchgang weiter ist man schon bei der cooperative d’ateliers, die alles, was wir bisher an Einfachheit gesehen haben noch mal toppt. Künstler finden ihre Ateliers regelmäßig am Rand der Stadt, schlecht geheizt, vom Wohnort getrennt. Hier kommt alles zusammen: im Neubau, warm für 10 CHF/m², was in Kaufkraft eher 6,50€ bei uns entspricht. Erreicht wird dies mit einem minimalistischen Selbstausbaukonzept und einer Mischung von formal 48% Gewerbefläche und 52% Wohnfläche in einer Einheit, um dem Planungsrecht Genüge zu tun. Auch hier der Stiftung-Habitat-Standard: max. 40m² pro Person. Wie es die Nutzer:innen dann nutzen ist ihre Sache. Die 3,45m hohen Räume, die ohne Heizung warm bleiben, bieten einiges an Kreativitätsraum, was drei Atelierwohnungen, die wir sehen konnten eindrücklich belegen.

StadtErle – Einfach gemeinschaftlich, selbstgemacht

Das Vorbild ist Kennern der Szene hinlänglich bekannt, auch hier hat man sich sehr an Planungs- und Nutzungsidealen der Kalkbreite aus Zürich orientiert, aber nicht nur. Mit drei Paaren um die 30 Jahre gestartet, haben es letztlich 2 Paare als Vorstände gestemmt. Viel Partizipation und aufsuchende Ansprache im Stadtquartier, monatliche Workshops, aber auch ein klar verantwortlicher Vorstand, der die Entscheidungen trifft und vertritt. Offenbar finden sich alle im Ergebnis wieder, seit dem Einzug vor 7 Jahren hat es zwei Auszüge gegeben. In regulären Beständen ist es das, was man eher pro Jahr erwartet.

StadtErle: Führung Judith Cann, Vorstand Genossenschaft Zimmerfrei

Thomas Luczak: Ich fand am spannendsten den konzeptionellen Kontrast zwischen den gestapelten Almhütten mit Betonkern (Cooperative d`Ateliers) und der grünen Wohnfabrik mit Laubengängen (StadtErle): hier Flächenmaximierung unter Verzicht auf Komfort (Heizung, Keller), aber keine Gemeinschaftsräume; dort Flächen-Minimierung der Privaträume mit starker Gemeinschaftsorientierung, aber kein Frost-Abschlag.

Dass man seine Lebensqualität aus guter Nachbarschaft und bezahlbarem Wohnen ziehen kann, zeigen die sehr genügsamen Zuschnitte und die standardisierte Grundausstattung. Eine Wohnkultur, die mit Betondecken, Holztafelwänden, schlichten Bädern und wenig Platz auskommt ist auch für Akademiker:innen offensichtlich attraktiv. Schönheit im tradierten Sinne, ist untergeordnet; dafür gibt es Laubengänge mit Aufenthaltsqualität, einen Dachgarten, den niemand wieder verlassen wollte und EINEN Gemeinschaftsraum, der sehr gut ausgelastet, immer noch irgendwie unfertig und radikal öffentlich in der Gemeinschaft ist. Lediglich die Küche kann abgetrennt und privat gemietet werden. Alles, was im Gemeinschaftsraum stattfindet ist auch für nicht eingeladene MitbewohnerInnen geöffnet, und man ist willkommen!

To be continued….

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